Edward Snowden war am Donnerstagabend für 30 Minuten in Genf – zumindest virtuell. Bild: watson
Wenn Edward Snowden an seine Zeit in Genf zurückdenkt, wird er ganz nostalgisch. In einem Skype-Gespräch anlässlich der Vorführung des Films «Citizenfour» bittet er die Schweiz hinter vorgehaltener Hand um Asyl.
Öffentlichkeitswirksame Auftritte gehören für Edward Snowden mittlerweile zur Routine. Immer wieder nimmt er per Skype oder über einen Chat an Diskussionen zum Thema Überwachung teil. Doch die Skype-Schaltung nach Genf im Rahmen des 13. Filmfestivals und Menschenrechtsforums ist etwas Besonderes. Beim Gespräch am Donnerstagabend packte den sonst so abgeklärten Analysten das Heimweh.
Ewen MacAskill
«Ich würde liebend gerne in die Schweiz zurückkehren», antwortet Snowden auf die Frage, wo ausser Russland er sonst gerne leben würde. «Einige meiner liebsten Erinnerungen stammen aus meiner Zeit in Genf». Snowden holt Luft: «Es ist ein wunderschöner Ort.» Die 800 Zuschauer, die zuvor den Oscar-prämierten Film «Citizenfour» gesehen hatten, applaudieren.
Bei der Debatte, die den inoffiziellen Höhepunkt des Internationalen Filmfests für Menschenrechte darstellt, geht es um Cyber-Sicherheit und Überwachung. Doch es ist Snowdens Zuneigung zur Schweiz, die auf das grösste Interesse stösst. Die Sympathien des Publikums gewinnt Snowden am Anfang, als er mit amerikanischem Akzent stammelt: «Désolé, je parle seulement un petit peut de français.»
Ewen MacAskill, der «Guardian»-Journalist, der im Juni 2013 zusammen mit Glenn Greenwald die ersten Snowden-Leaks publiziert hat, sitzt in der Runde. Er ist verblüfft: «Ich habe in den letzten zwei Jahren an vielen Gesprächen mit Snowden teilgenommen – aber ich habe ihn noch nie so locker gesehen», sagt MacAskill nach der 30-minütigen Schaltung nach Moskau.
Edward Snowden
Der «Guardian»-Journalist Ewen MacAskill. Bild: EDUARDO MUNOZ/REUTERS
Snowden sei normalerweise viel nervöser und halte sich zurück, wenn es um Persönliches gehe. Für MacAskill ist klar: «Das war ein offener Appell für Asyl. Er bittet euch um Hilfe!» Vor der Schaltung hatte der Journalist deutliche Kritik geübt: «Edward Snowden hat in 21 Ländern Asyl beantragt. Niemand hat es ihm gewährt. Nicht die Schweiz, nicht Schweden, nicht Deutschland. Es ist eine Schande.»
Snowden scheint schon konkreter mit dem Gedanken an eine Rückkehr gespielt zu haben. «Die Schweiz wäre eine grossartige politische Option», sagt er. Dank ihrer Neutralität könnte ihr die USA keine antiamerikanischen Motive vorwerfen, wie das bei anderen Ländern der Fall wäre. «Die Schweiz könnte demonstrieren, dass Neutralität, das Gesetz und Menschenrechte wichtig sind.»
Nach einer kurzen Pause sagt Snowden: «Aber es ist nicht an mir, das zu entscheiden. Und nicht an der US-Regierung oder sonst jemandem. Das müssen die Schweizer Bürger mit dem Bundesrat diskutieren.»
Edward Snowden war von 2007 bis 2009 als CIA-Spion in Genf tätig. Nach der Frage, was er denn vermisse, kommt er ins Schwärmen: «In Genf herrscht eine unglaubliche Atmosphäre, die es sonst in kaum einer Stadt auf der Welt gibt.» Hier lebten Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen Seite an Seite.
Edward Snowden
«Wenn du am Genfersee spazierst oder an den Fêtes de Genève das Feuerwerk anschaust. Links und rechts von dir sind Menschen, die eine andere Sprache sprechen und vielleicht eine andere Hautfarbe haben. Aber du spürst, dass alle ein Teil der gleichen Welt, der gleichen Menschheit sind.» Snowden hält inne. «Ich vermisse das sehr.»
Doch nicht alles, was Snowden zur Schweiz zu sagen hat, ist positiv. Er kritisiert, dass sich die Schweiz und andere Länder zu sehr von den USA unter Druck setzen lassen. «Wenn ein chinesischer Bürger in der Schweiz Missstände aus seinem Heimatland aufdecken will, ist das kein Problem», so Snowden. «Tut das aber ein US-Bürger, sieht es anders aus, vor allem in den Augen hochrangiger Politiker.»
Video: Youtube/watson