Auch die Autorin dieses Artikels ist vergangenes Wochenende zum Kiosk gerannt, hat sich das Magazin der SZ ergattert und sich einfach mal sehr heftig gefreut. 185 hatten den Mut, hier zusammen zu sich selbst zu stehen. Einige prominente Kolleg*innen (WER??? Vielleicht Schweiger? Oder Schweighöfer?) hatten ihn nicht. Bild: Süddeutsche Zeitung Magazin/watson
Es ist der Pressecoup dieser Tage: Deutschsprachige Schauspieler*innen haben sich zu einem Massen-Coming-out gefunden. Ihr Ziel: Alle dürfen endlich sein, wer sie wirklich sind. Und alle dürfen alles spielen. Auch Geschichten wie die eigene.
Natürlich wussten «in der Szene» schon alle immer Bescheid. «Hinter den Kulissen» also. Dort wo die Öffentlichkeit nicht hinschaut. Jedenfalls nicht so genau. Aber jetzt musste sie hinschauen. Denn 185 deutschsprachige Schauspieler*innen haben sich im aktuellen Magazin der «Süddeutschen Zeitung» geoutet. Als homo- oder bisexuell, als queer, non-binär und trans.
Sie nennen sich die #actout-Gruppe, sie haben ein Manifest verfasst, und dieses hat es einmal rund um den Erdball geschafft. Amerikanische und chinesische Medien berichten darüber, Branchenverbände solidarisieren sich, viele sind gerührt, viele sind auch einfach neugierig, wer denn da alles nicht der Norm entspricht, und manche fragen sich: Ist das bloss ein billiger PR-Coup? Und war das wirklich noch nötig? Ist die Gesellschaft, gerade in Mitteleuropa, nicht schon viel weiter?
Karin Hanczewski ist «Tatort»-Kommissarin. Und Initiantiantin von #actout. Bild: Getty Images Europe
185 sind viele. Zu viele, um sie zu ignorieren oder mundtot zu machen. Und sie sind seit Jahren da. Mittendrin in unserem Unterhaltungsuniversum. Darunter finden sich etwa Ulrich Matthes, der Schweizer Stefan Kurt, Mavie Hörbiger, Udo Samel, Mark Waschke oder die Initiantin der Aktion Karin Hanczewski. Sie war am vergangenen Sonntag eben erst als Dresdner «Tatort»-Kommissarin Karin Gorniak zu sehen.
Nun sind Schauspieler*innen ja genau die Leute, deren Job darin besteht, andauernd andere Existenzen zu behaupten. Und wenn heterosexuelle Stars Homos oder Transmenschen spielen, dann gilt das als bemerkenswert und mutig. Dann hagelt es in Hollywood Golden-Globes- und Oscar-Nominierungen. Dann ist es noch immer nicht ganz normal.
Ulrich Matthes war vor kurzem im TV-Event «Gott» nach Ferdinand von Schirach zu sehen. Bild: German Select
Andersrum schon. Denn andersrum muss – so sagen Hanczewski und fünf weitere in einem grossen, von Lara Fritzsche und Carolin Emcke geführten Interview – nicht nur vor, sondern auch abseits der Kameras gespielt werden. Andersrum wird nach einer Fassade verlangt. Danach, dass eine Frau eben nicht mit ihrer Freundin über den roten Teppich geht.
Als die bisexuelle 22-jährige Emma Bading mit ihrer Freundin zu einer Preisverleihung wollte, wurde sie gewarnt, sie würde sich damit ihre Karriere verbauen: «Es hiess: Man kann ja nicht wissen, welche Vorurteile die Fantasie im Besetzungsprozess immer noch behindern.»
Emma Bading wurde geraten, sich nicht mit ihrer Freundin auf dem roten Teppich sehen zu lassen. Bild: Getty Images Europe
Gerade die Film- und Theaterszene ist dafür berühmt, dass erst noch ein, zwei Generationen sexistischer Saurier aussterben müssen, bis Gleichberechtigung geschweige denn Diversität so richtig durchsetzen kann. Ende Januar erzählte die Schauspielerin Nikola Weisse im Interview mit der AZ, wie am Zürcher Schauspielhaus noch vor wenigen Jahren die Tür des Intendantenbüros abgeschlossen wurde, wenn Matthias Hartmann sich mit einer jungen Schauspielerin «unterhielt». Weinstein war da nicht weit.
Selbst als Hanczewski ihre «Tatort»-Rolle schon hatte, hiess es, sie solle auf dem Dreh die Lesbe nicht zu sehr raushängen lassen und doch bitte nicht so viele Holzfällerhemden tragen, das sei nun wirklich nicht weiblich. Die 185 sind sich sowas gewohnt, es komme dauernd, sagt Tucké Royale, und immer müsse man es wegstecken, freundlich bleiben, bloss nicht ausfallend werden, «und wenn man dann sagt, dass das gerade nicht so cool war, dann ist die Person wahnsinnig betroffen, und man muss die auch noch trösten».
Eine Lesbe spielt sicher keine Mutter. Jedenfalls war das die Begründung, mit der Ulrike Folkerts, die amtsälteste unter allen «Tatort»-Ermittlerinnen und Ermittlern keine Mütterrollen bekam. Ein Witz. «Wir sind Schauspieler*innen. Wir müssen nicht sein, was wir spielen», heisst es im Manifest, «dabei können wir Mörder*innen spielen, ohne gemordet zu haben. Wir können Leben retten, ohne Medizin zu studieren. Wir können Menschen mit anderen sexuellen Identitäten spielen, als die, die wir leben.»
Dass Ulrike Folkerts lesbisch ist, wusste «die Szene» natürlich seit den frühsten Neunzigern. Ihr Coming-out hatte sie erst 1999 und wurde «zur Exotin und stigmatisiert», wie sie heute sagt. Bild: WireImage
Und da sind wir wieder bei der heteronormativen Normalität. Die irgendwie bescheuerte Entscheide fällt und mehr Angst vor sich selbst zu haben scheint als die andere Seite dies hat. Denn man muss sich schon fragen: Ist das im Grunde nicht alles völlig egal? Kann ich als Zuschauerin nicht genau so sehr für einen heterosexuellen Schauspieler, der einen Schwulen spielt (ich sag nur: Manfred Kägi!) schwärmen wie für einen Schwulen, der einen Heterosexuellen spielt? Finden nicht viele junge Männer Kristen Stewart heiss, obwohl sie sich nun doch seit einigen Jahren nicht mehr für einen Mann interessiert hat?
Das alles ist eine Sache der Verführungskunst auf der Leinwand, jener Magie, die einsetzt, wenn jemand so gut ist, dass sich alle Grenzen in jenem schillernden Schwebezustand namens Kunst auflösen. Die Grenzen nämlich zwischen den Darstellenden und ihren Figuren und die Grenzen zwischen ihnen und uns.
Die 185 wollen genau dies: In ihrem Job mit allem, was sie sind und geben können, für uns da sein. Und daneben ganz bei sich. Ohne Lügen, Verstellungen oder andere Fassadenkleisterei. Einfach frei. Und manchmal, so zur Abwechslung, hätten sie gerne eine Rolle, die eine Geschichte wie die ihre erzählt.