Die Schweiz stimmt über die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs ab.Bild: keystone
Wie viel dich der Vaterschaftsurlaub kostet – und 5 weitere Antworten zur Vorlage
Am 27. September stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub ab. Befürworter wollen die Schweiz aus der familienpolitischen Steinzeit führen, Gegner finden die Vorlage asozial, weil dadurch mehr Lohnabzüge entstehen.
Am 27. September 2020 stimmt die Schweiz über einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub ab. Väter sollen den Urlaub in den ersten sechs Monaten nach der Geburt ihres Kindes beziehen können. Die zwei Wochen können auch auf einzelne Tage aufgeteilt werden.
Anspruch darauf haben alle Väter, die bei der Geburt ihres Kindes angestellt oder selbstständig erwerbend sind oder Taggelder der Arbeitslosen-, der Krankenpflege- oder Invalidenversicherung beziehen.
Wie beim Mutterschaftsurlaub auch würde das Vorhaben über die Erwerbsersatzordnung (EO) finanziert. Auch die Entschädigung soll gleich hoch ausfallen: 80 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, höchstens aber 196 Franken pro Tag.
Vaterschaftsurlaub ist nicht die einzige familienpolitische Abstimmung:
Die zwei Wochen Vaterschaftsurlaub sind ein indirekter Gegenvorschlag zu einer Volksinitiative, die vier Wochen Urlaub verlangte, dann aber zurückgezogen wurde (siehe nächster Punkt).
Wie ist es von der Volksinitiative zum Referendum gekommen?
Am 27. September wird über ein Referendum abgestimmt, nicht über eine Volksinitiative. Ursprünglich hätte die Schweiz über vier Wochen Vaterschaftsurlaub abgestimmt. Das kam so:
August 2017: Die Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie» kommt zustande. Sie fordert, dass alle erwerbstätigen Väter mindestens vier Wochen Vaterschaftsurlaub beziehen können. Dies soll über die Erwerbsersatzordnung (EO) finanziert werden, wie der Militärdienst auch.
September 2019: Das Parlament arbeitet einen indirekten Gegenentwurf aus, der sowohl vom National- als auch vom Ständerat angenommen wird. Dieser Gegenentwurf sieht zwei anstatt vier Wochen Vaterschaftsurlaub vor.
Oktober 2019: Das Initiativkomitee zieht seine Vorlage zurück – unter der Bedingung, dass der indirekte Gegenvorschlag in Kraft tritt.
Die Kosten für den indirekten Gegenvorschlag würden sich auf rund 230 Millionen Franken pro Jahr belaufen. Diese würden über die EO finanziert.
Dafür sollen 0,05 zusätzliche Lohnprozente je hälftig bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern erhoben werden. Rechnet man mit dem Schweizer Medianlohn von 6538 Franken brutto, so ergibt das einen Mehrabzug von gut drei Franken pro Monat.
Hier kannst du ausrechnen, was dich das kosten würde:
Der Gesamtbetrag dürfte in Wirklichkeit aber noch tiefer ausfallen. Bei der jährlichen Anzahl Geburten, der effektiv bezogenen Urlaubstage und der Höhe der ausbezahlten Taggelder fällt die Schätzung des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) grosszügig aus, wie das Amt einräumt.
Familie ist Privatsache: Der Staat solle sich nicht noch weiter in Familienangelegenheiten einmischen, so die Gegner. Kinder zu kriegen sei eine private Entscheidung, mit dessen Konsequenzen jede Familie alleine zurechtkommen müsse.
Zu hohe Lohnabgaben: Der Schweizer Bevölkerung bleibe immer weniger vom Lohn, da die Abgaben für Sozialversicherungen und Co. immer weiter steigen. Weiter müssten alle für einige wenige zahlen – das sei unfair.
Verschuldete Sozialwerke: Die AHV und IV seien langfristig nicht finanziert. Die Coronakrise erhöhe den Milliarden-Schuldenberg weiter. Ein Vaterschaftsurlaub würde das Fass zum Überlaufen bringen.
KMU und Gewerbe würden leiden: KMU- und Gewerbebetriebe würden bereits heute unter hohen Kosten leiden. Müsste nun auch noch der Vaterschaftsurlaub finanziert werden, würde das die Konkurrenzfähigkeit zerstören.
Grosskonzerne profitieren: Viele Grosskonzerne hätten den Vaterschaftsurlaub freiwillig eingeführt, weil sie sich das mit ihren Milliardengewinnen leisten könnten. Diese Kosten würden sie nun auf alle anderen abschieben wollen.
Was sind die Argumente der Befürworter?
Die Befürworter des Vaterschaftsurlaubs bestehen aus Politikerinnen der SP, Grünen, GLP und CVP. Die FDP lehnt den Vaterschaftsurlaub in dieser Ausführung ab, möchte jedoch eine gemeinsame Elternzeit von 16 Wochen einführen. Doch dazu später mehr.
Weitere Unterstützung erhält der Vorschlag unter anderem vom Arbeitnehmerverband Travailsuisse, der Schweizer Männer- und Väterorganisation männer.ch, Pro Familia und Pro Juventute. Das sind ihre Argumente:
Väter wollen Verantwortung: Dass die Mütter am Herd stehen während die Väter die Brötchen nach Hause bringen, entspreche heute nicht mehr der Realität moderner Familien. Meist seien beide Elternteile erwerbstätig und Väter wollen ihren Teil der Verantwortung gegenüber dem Kind übernehmen.
Die KMU profitieren: Von einem gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub würden die KMU am meisten profitieren, da sich viele Grosskonzerne sowieso schon Papizeit leisten könnten. Da die Kosten auf alle verteilt werden, sei es zudem günstig und erlaube Planungssicherheit. Das fördere auch die Attraktivität der KMU für junge Fachkräfte.
Auch die Frauen profitieren: Viele Frauen mit guter Ausbildung würden der Wirtschaft verloren gehen. Entlaste und unterstütze man sie jedoch, so erleichtere dies ihren beruflichen Wiedereinstieg.
Ein Schritt zur Gleichstellung: Mütter und Väter sind nach Verfassung gleichberechtigt und gleichwertig. Ein Vaterschaftsurlaub sei ein erster Schritt in Richtung fairer Aufteilung von bezahlter und unbezahlter (Care-)Arbeit.
Die Schweiz ist ein familienpolitisches Entwicklungsland: Die Schweiz stehe im Vergleich zu Europa beim Thema Vaterschaftsurlaub steinzeitlich da. Da sei peinlich und zudem schädlich für die Wirtschaft, da weltweit die besten Köpfe für Unternehmen arbeiten, die grosszügige und moderne Arbeitsbedingungen für Familien anbieten.
Dies scheint jedoch eher unwahrscheinlich, da das Stimmvolk wohl kaum einer Vorlage für vier Wochen zustimmt, wenn es bereits zwei Wochen Vaterschaftsurlaub abgelehnt hat.
Wahrscheinlicher ist eine neue Initiative über eine gemeinsame Elternzeit, wie es verschiedene nordische Länder bereits kennen. Die SP will eine Volksinitiative für eine 38-wöchige Elternzeit lancieren, der Campaigner Daniel Graf plant eine Initiative für eine Elternzeit von insgesamt 30 Wochen.
Die Schweiz belegt laut Unicef-Studie bei Familienfreundlichkeit den letzten (!!!) Platz
Bei der Familienfreundlichkeit rangiert die Schweiz gemäss einer neuen Studie des Uno-Kinderhilfswerks Unicef in Europa auf dem letzten Platz. Die familienfreundlichsten Regeln und Gesetze gibt es demnach in Schweden, dahinter folgen Norwegen und Island.
Das schreibt Unicef in einem am Donnerstag in New York veröffentlichten Bericht. Ebenfalls in die Top Ten der 31 untersuchten Länder schafften es Deutschland, Estland, Portugal, Dänemark, Slowenien, Luxemburg und Frankreich. Noch vor dem …