Wladimir Putin im ARD-Interview. Bild: AP/RIA Novosti Kremlin Press Service
Der Kalte Krieg war ein Kräftemessen zwischen der UdSSR und den USA, zwei Supermächten. Putin hingegen kämpft um das Ansehen der sich im Niedergang befindlichen Regionalmacht Russland. Gerade das macht ihn so gefährlich.
Am 25-jährigen Jubiläum des Falls der Berliner Mauer warnte Michail Gorbatschow den Westen eindringlich vor einem neuen Kalten Krieg. Der G-20-Gipfel vom vergangenen Wochenende in Brisbane scheint dem ehemaligen Vorsitzenden der KPdSU Recht zu geben: Der russische Präsident Wladimir Putin liess Kriegsschiffe vor Australien auffahren, führte sich wie ein trotziger Teenager auf, reiste vorzeitig ab und machte damit allen klar, dass das Klima zwischen Russland und dem Westen so eisig ist wie schon lange nicht mehr.
Michail Gorbatschow mit Angela Merkel in Berlin Bild: Getty Images Europe
Trotzdem stimmt Gorbatschows Diagnose nicht. Was wir heute erleben, ist ein gefährlicher regionaler Konflikt, aber kein Kräftemessen zwischen zwei Supermächten. «Der Kalte Krieg war ein globales Ringen zwischen zwei verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Systemen», schreibt Philip Stephens in der «Financial Times». «Jahrzehntelang lebte die Welt im Schatten einer möglichen gegenseitigen atomaren Selbstzerstörung. 1989 hat der Kommunismus verloren. Es gibt kein Zurück.»
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das Gespenst des Kommunismus einmal mehr in Europa um. Auch im Westen waren Gewerkschaften stark und kommunistische Parteien einflussreich. Stalin und seine Nachfolger glänzten zudem – zumindest statistisch – mit hohen Wachstumszahlen der Wirtschaft und technischen Erfolgen im Weltall.
All dies machte die Sowjetunion attraktiv und nachahmenswert. Die KPdSU finanzierte Bruderparteien in aller Welt, und in der Dritten Welt lieferten sich von der Sowjetunion unterstützte Guerilla-Armeen blutige Stellvertreterkriege mit von den USA gesponserten Widersachern.
Heute hat der sowjetische Kommunismus null Sexappeal. Putin kämpft nicht für eine alternative Gesellschaftsordnung, er kämpft um Respekt und Einfluss seines Heimatlandes. Nicht Ideologie bestimmt sein Handeln, sondern nacktes Streben nach Macht.
Die russische Journalistin Masha Gessen beschreibt in ihrer Putin-Biographie «Der Mann ohne Gesicht» seine Jugend im Leningrad der Nachkriegszeit (heute wieder St. Petersburg). Es war alles andere als eine heile Welt. Putins Eltern wohnten in einer kargen, halb verfallenen Wohnung, er besuchte keinen Montessori-Kindergarten, sondern musste sich mit Prügeleien auf der Strasse Respekt verschaffen. Die Logik der Jugendgangs scheint er auf seine Politik übertragen zu haben: Wer nachgibt, hat verloren.
Pro-russische Rebellen in der Ostukraine Bild: AFP
Im Ukraine-Konflikt setzt Putin darauf, dass der Westen zu weich ist, um ihm die Stirn zu bieten. Der intellektuelle Zögerer Obama und Mama Merkel würden nach heftigem Protestgeheul schliesslich nachgeben, lautet sein Kalkül. Bisher ist es nicht aufgegangen. Im Gegenteil: Putins völkerrechtswidrige Annexion der Krim und seine inzwischen offene Unterstützung der Rebellen in der Ostukraine hat dazu geführt, dass der Westen überraschend geeint auftritt und immer härtere Sanktionen gegen Russland verhängt.
Die Sanktionen scheinen Wirkung zu zeigen: Russlands Wirtschaft stagniert und der Rubel befindet sich im freien Fall. Erschwerend kommt hinzu, dass der Ölpreis deutlich unter 80 Dollar pro Fass gesunken ist. Experten gehen davon aus, dass Russland als «Tankstelle der Welt» einen Ölpreis von mindestens 110 Dollar pro Fass braucht, um sein Staatsbudget im Lot zu halten. Zudem ist die Ölindustrie auf westliches Know How angewiesen, um die grossen Reserven anzuzapfen, die in der Arktis vermutet werden.
Heisst dies, dass Putin im Ukraine-Konflikt bald einlenken wird? Keineswegs. Russland hat vorläufig noch genügend Devisenreserven, um über die Runden zu kommen, und die russische Bevölkerung steht hinter Putin. Sie fühlt sich vom Westen gedemütigt und sinnt auf Revanche. Wie ihr Präsident empfinden sie den Kollaps der Sowjetunion als geopolitische Katastrophe, die es zu korrigieren gilt.
Philip Stephens, Financial Times
Auch wenn es kein neuer Kalter Krieg ist: Der Konflikt zwischen Russland und dem Westens ist brandgefährlich, wahrscheinlich viel gefährlicher als die Auseinandersetzung mit den fanatischen Fundamentalisten des IS. Putin mag sich bisher strategisch verzockt haben. Der Abschuss des malaysischen Flugzeugs war eine katastrophale Fehlleistung, seine Einschätzung von Angela Merkel ein gewaltiger Irrtum.
Doch einlenken dürfte er noch lange nicht. «Wer glaubt, die Ukraine-Krise wäre rasch auf diplomatischem Weg zu lösen, lügt sich selbst an», stellt Stephens fest. «Ebenfalls irrt sich, wer glaubt, Moskau sei zu Kompromissen bereit. Herr Putin respektiert nur, wer bereit ist, ihm die Stirne zu bieten.»